Seit einigen Jahren erkennen wir immer deutlicher, wie stark die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft in Deutschland abnimmt.

  • Von den fast 600 Wildbienenarten Deutschlands sind derzeit mehr als die Hälfte in ihrem Bestand bedroht.

  • Vogelarten der Agrarlandschaft, wie Feldlerche, Star und Kiebitz, sind zwischen 1998 und 2009 um mehr als ein Drittel zurückgegangen.

  • Viel Aufsehen erregte 2017 auch eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld. Sie stellte fest, dass die Biomasse (also das Gesamtgewicht) an Fluginsekten in geschützten Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg zwischen 1989 und 2016 im Mittel um 76 % abgenommen hat.

Für das vorliegende Projekt hat eine Arbeitsgruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Entwicklung der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft analysiert und in einer Stellungnahme veröffentlicht. Die Arbeitsgruppe wurde von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften eingesetzt.

Hier fasst sie den Stand des Wissens zu den Ursachen der derzeit beobachteten Veränderungen der biologischen Vielfalt zusammen. Sie beschreibt die Rahmenbedingungen, unter denen Akteurinnen und Akteure in Agrarlandschaften handeln, die Auswirkungen dieses Handelns auf die biologische Vielfalt, und spricht Empfehlungen aus, wie die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft erhalten und gefördert werden.

Bestandsaufnahme

Wie entwickelt sich die Artenvielfalt?

Es ist wissenschaftlich gesichert, dass Vögel, Insekten und Pflanzen in Artenzahl, Häufigkeit oder Biomasse zurückgegangen sind. Dieser Verlust findet in besonderem Maße in der Agrarlandschaft statt. Besonders gut dokumentiert ist der Rückgang bei den Vogelarten, die in der Agrarlandschaft heimisch sind.

Rückgang der Vogelbestände

Die vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz organisierte Überwachung des Bestands von Brutvögeln ermöglicht eine repräsentative Einschätzung der Vogelbestände in Deutschland.

Allerdings begann die systematische und standardisierte Erhebung auf großer Fläche erst zu einem Zeitpunkt, als die Bestände vieler Arten bereits erheblich zurückgegangen waren.

Wenn man Vogelarten zu Gruppen entsprechend ihres Hauptlebensraums zusammenfasst, wird deutlich, dass die Vögel der Agrarlandschaft besonders vom Rückgang betroffen sind. Während die Bestände von Vogelarten, die andere Lebensräume bevorzugen, stabil oder sogar ansteigend sind, gehen die Vögel der Agrarlandschaft weiter zurück.

Rückgang von Insekten

Der starke Rückgang von Insekten in der Agrarlandschaft ist mittlerweile durch viele Studien belegt. So hat sich in 16 europäischen Ländern die Häufigkeit von Schmetterlingen des Grünlands (Wiesen und Weiden) im Zeitraum 1990–2015 um ca. ein Drittel verringert:

Wiesen-Schmetterlinge nehmen europaweit ab
Index5060708090100110%1995200020052010van Swaay et al. (2019). The EU butterfly indicator forgrassland species: 1990 – 2017.

Viele regionale Studien bestätigen den Rückgang der Insekten.

  • Im Raum Düsseldorf sind zwischen 1900 und 2000 58 Prozent der Schmetterlingsarten verloren gegangen.

  • Für Norddeutschland ist ein deutlicher Rückgang bei der Häufigkeit von Zikaden und Heuschrecken im Grünland seit 1951 festgestellt worden, während die Zahl der Wanzen im selben Zeitraum zugenommen hat, besonders bei solchen Arten, die gestörte Lebensräume tolerieren.

  • Von den fast 600 Wildbienenarten Deutschlands sind derzeit 53 Prozent in ihrem Bestand bedroht.

Der Insektenrückgang macht auch vor Schutzgebieten in der Agrarlandschaft nicht halt.

Mit einer als Krefelder Studie bekanntgewordenen Untersuchung aus dem Jahr 2017 konnte erstmals gezeigt werden, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur die Vielfalt an Insektenarten abgenommen hat, sondern auch ihre Häufigkeit und Masse. Daher erhielt die Studie weltweite Aufmerksamkeit. Obwohl die Studie in den Medien teilweise angezweifelt wurde, konnten unabhängige Prüfungen ihrer statistischen Analyse keine Fehler feststellen. Vielmehr bestätigen frühere und nachfolgende Studien die Schlussfolgerungen der Krefelder Insektenforscher.

Obwohl die Studie nicht abschließend erklären kann, was die Ursache der Rückgänge ist, gibt sie doch einen Hinweis darauf. Denn mehr als 90% der untersuchten Standorte lagen in Schutzgebieten, in deren unmittelbarer Umgebung Landwirtschaft betrieben wird.

Was sind die Ursachen des Rückgangs der Artenvielfalt?

Ein ganz wichtiger Faktor, der die Art der Bewirtschaftung von Agrarflächen beeinflusst, ist die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP).

Seit den 1950er Jahren war die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und Produktivität ein wichtiges gesellschaftliches Ziel in Deutschland und Europa. An dieses und andere Ziele wurden besonders in den 1960er und 1970er Jahren auch die landwirtschaftlichen Flächen angepasst. Mit der Integration in den internationalen Agrarmarkt seit den frühen 1990er Jahren müssen sich die landwirtschaftlichen Betriebe auch zunehmend an internationalen Marktpreisen orientieren.

Warum brauchen wir Artenvielfalt in der Agrarlandschaft?

Um ihre Produktionsziele zu erreichen, ist die Landwirtschaft auf eine gezielte Veränderung der Artenzusammensetzung eines Standorts ausgerichtet. Das bedeutet auch die deutliche Dezimierung einzelner oder vieler nicht erwünschter Arten an diesem Standort. In der Agrarlandschaft können also Konflikte zwischen dem Erhalt der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft und der Erzeugung von Lebensmitteln oder der Energiegewinnung bestehen.

Jenseits der Zielkonflikte kann eine Förderung der biologischen Vielfalt jedoch auch der landwirtschaftlichen Produktion nutzen, unter anderem durch Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, durch die gleichermaßen effektive wie effiziente natürliche Bestäubung von Kulturpflanzen und durch Nützlinge im Pflanzenschutz. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften steht daher nicht per se im Widerspruch zu einer zukunftsgerichteten landwirtschaftlichen Produktion.

Zum Beispiel werden von den 115 weltweit am häufigsten angebauten Kulturpflanzen 87 durch Tiere, vorwiegend Insekten, bestäubt. Kulturpflanzen, die von Insekten bestäubt werden, liefern zudem verschiedene Vitamine und Mineralstoffe, die für die Nährstoffversorgung des Menschen unabdingbar sind. Erdbeeren, Kirschen, Raps, Gurken oder Wassermelonen bringen durch Insektenbestäubung besonders reiche Erträge. Die Früchte sind von hoher Qualität, insbesondere wenn sie von Wildbienen bestäubt werden, die ein hohes Maß an Kreuzbestäubung leisten:

Für Landwirtinnen und Landwirte besteht größere Sicherheit im Hinblick auf eine ausreichende Bestäubungsleistung, wenn sie die Artenvielfalt bei blütenbesuchenden Insekten in ihren Kulturen oder in deren unmittelbarer Nähe fördern.

Generell sind für die Funktionsfähigkeit eines Agrarökosystems viele unauffällige Tierarten und Mikroorganismen wichtig, die Aufgaben bei der Kontrolle von Schädlingen und beim Recycling von Nährstoffen sowie als Pflanzen- oder Samenfresser übernehmen. Eine Bodenbedeckung durch krautige Pflanzen und Gräser, Blühstreifen und Hecken verhindern die Erosion fruchtbaren Bodens. Insgesamt wirkt die biologische Vielfalt langfristig stabilisierend auf Ökosysteme, ihre Funktionen und Leistungen. Je weniger unterschiedliche Arten dagegen in einer Agrarlandschaft vorhanden sind, desto anfälliger ist das dortige Ökosystem gegenüber schwankenden Umweltbedingungen oder dem Klimawandel.

Die biologische Vielfalt birgt für viele Menschen aber auch kulturelle Werte jenseits von Nutzenerwägungen, sie ist auch um ihrer selbst willen erhaltenswert.

Zuletzt ist gut die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt. Will man die für Agrarlandschaften typischen Arten erhalten und fördern, führt kein Weg daran vorbei, hier aktiv zu werden.

51% Deutschlands sind Agrarlandschaft

Mehr als die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt: Derzeit 51 %. Davon wird auf 72 % (d. h. 36,8 % der Landesfläche) Ackerbau betrieben und 28 % (d. h. 14,3 % der Landesfläche) sind Dauergrünland (Wiesen und Weiden).