Seit einigen Jahren erkennen wir immer deutlicher, wie stark die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft in Deutschland abnimmt.
Von den fast 600 Wildbienenarten Deutschlands sind derzeit mehr als die Hälfte in ihrem Bestand bedroht.
Vogelarten der Agrarlandschaft, wie Feldlerche, Star und Kiebitz, sind zwischen 1998 und 2009 um mehr als ein Drittel zurückgegangen.
Viel Aufsehen erregte 2017 auch eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld. Sie stellte fest, dass die Biomasse (also das Gesamtgewicht) an Fluginsekten in geschützten Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg zwischen 1989 und 2016 im Mittel um 76 % abgenommen hat.
Für das vorliegende Projekt hat eine Arbeitsgruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Entwicklung der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft analysiert und in einer Stellungnahme veröffentlicht. Die Arbeitsgruppe wurde von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften eingesetzt.
Hier fasst sie den Stand des Wissens zu den Ursachen der derzeit beobachteten Veränderungen der biologischen Vielfalt zusammen. Sie beschreibt die Rahmenbedingungen, unter denen Akteurinnen und Akteure in Agrarlandschaften handeln, die Auswirkungen dieses Handelns auf die biologische Vielfalt, und spricht Empfehlungen aus, wie die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft erhalten und gefördert werden.
Es ist wissenschaftlich gesichert, dass Vögel, Insekten und Pflanzen in Artenzahl, Häufigkeit oder Biomasse zurückgegangen sind. Dieser Verlust findet in besonderem Maße in der Agrarlandschaft statt. Besonders gut dokumentiert ist der Rückgang bei den Vogelarten, die in der Agrarlandschaft heimisch sind.
Die vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz organisierte Überwachung des Bestands von Brutvögeln ermöglicht eine repräsentative Einschätzung der Vogelbestände in Deutschland.
Allerdings begann die systematische und standardisierte Erhebung auf großer Fläche erst zu einem Zeitpunkt, als die Bestände vieler Arten bereits erheblich zurückgegangen waren.
Wenn man Vogelarten zu Gruppen entsprechend ihres Hauptlebensraums zusammenfasst, wird deutlich, dass die Vögel der Agrarlandschaft besonders vom Rückgang betroffen sind. Während die Bestände von Vogelarten, die andere Lebensräume bevorzugen, stabil oder sogar ansteigend sind, gehen die Vögel der Agrarlandschaft weiter zurück.
Der starke Rückgang von Insekten in der Agrarlandschaft ist mittlerweile durch viele Studien belegt. So hat sich in 16 europäischen Ländern die Häufigkeit von Schmetterlingen des Grünlands (Wiesen und Weiden) im Zeitraum 1990–2015 um ca. ein Drittel verringert:
Viele regionale Studien bestätigen den Rückgang der Insekten.
Im Raum Düsseldorf sind zwischen 1900 und 2000 58 Prozent der Schmetterlingsarten verloren gegangen.
Für Norddeutschland ist ein deutlicher Rückgang bei der Häufigkeit von Zikaden und Heuschrecken im Grünland seit 1951 festgestellt worden, während die Zahl der Wanzen im selben Zeitraum zugenommen hat, besonders bei solchen Arten, die gestörte Lebensräume tolerieren.
Von den fast 600 Wildbienenarten Deutschlands sind derzeit 53 Prozent in ihrem Bestand bedroht.
Der Insektenrückgang macht auch vor Schutzgebieten in der Agrarlandschaft nicht halt.
Mit einer als Krefelder Studie bekanntgewordenen Untersuchung aus dem Jahr 2017 konnte erstmals gezeigt werden, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur die Vielfalt an Insektenarten abgenommen hat, sondern auch ihre Häufigkeit und Masse. Daher erhielt die Studie weltweite Aufmerksamkeit. Obwohl die Studie in den Medien teilweise angezweifelt wurde, konnten unabhängige Prüfungen ihrer statistischen Analyse keine Fehler feststellen. Vielmehr bestätigen frühere und nachfolgende Studien die Schlussfolgerungen der Krefelder Insektenforscher.
Obwohl die Studie nicht abschließend erklären kann, was die Ursache der Rückgänge ist, gibt sie doch einen Hinweis darauf. Denn mehr als 90% der untersuchten Standorte lagen in Schutzgebieten, in deren unmittelbarer Umgebung Landwirtschaft betrieben wird.
Ein ganz wichtiger Faktor, der die Art der Bewirtschaftung von Agrarflächen beeinflusst, ist die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP).
Seit den 1950er Jahren war die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und Produktivität ein wichtiges gesellschaftliches Ziel in Deutschland und Europa. An dieses und andere Ziele wurden besonders in den 1960er und 1970er Jahren auch die landwirtschaftlichen Flächen angepasst. Mit der Integration in den internationalen Agrarmarkt seit den frühen 1990er Jahren müssen sich die landwirtschaftlichen Betriebe auch zunehmend an internationalen Marktpreisen orientieren.
Um ihre Produktionsziele zu erreichen, ist die Landwirtschaft auf eine gezielte Veränderung der Artenzusammensetzung eines Standorts ausgerichtet. Das bedeutet auch die deutliche Dezimierung einzelner oder vieler nicht erwünschter Arten an diesem Standort. In der Agrarlandschaft können also Konflikte zwischen dem Erhalt der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft und der Erzeugung von Lebensmitteln oder der Energiegewinnung bestehen.
Jenseits der Zielkonflikte kann eine Förderung der biologischen Vielfalt jedoch auch der landwirtschaftlichen Produktion nutzen, unter anderem durch Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, durch die gleichermaßen effektive wie effiziente natürliche Bestäubung von Kulturpflanzen und durch Nützlinge im Pflanzenschutz. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften steht daher nicht per se im Widerspruch zu einer zukunftsgerichteten landwirtschaftlichen Produktion.
Zum Beispiel werden von den 115 weltweit am häufigsten angebauten Kulturpflanzen 87 durch Tiere, vorwiegend Insekten, bestäubt. Kulturpflanzen, die von Insekten bestäubt werden, liefern zudem verschiedene Vitamine und Mineralstoffe, die für die Nährstoffversorgung des Menschen unabdingbar sind. Erdbeeren, Kirschen, Raps, Gurken oder Wassermelonen bringen durch Insektenbestäubung besonders reiche Erträge. Die Früchte sind von hoher Qualität, insbesondere wenn sie von Wildbienen bestäubt werden, die ein hohes Maß an Kreuzbestäubung leisten:
Für Landwirtinnen und Landwirte besteht größere Sicherheit im Hinblick auf eine ausreichende Bestäubungsleistung, wenn sie die Artenvielfalt bei blütenbesuchenden Insekten in ihren Kulturen oder in deren unmittelbarer Nähe fördern.
Generell sind für die Funktionsfähigkeit eines Agrarökosystems viele unauffällige Tierarten und Mikroorganismen wichtig, die Aufgaben bei der Kontrolle von Schädlingen und beim Recycling von Nährstoffen sowie als Pflanzen- oder Samenfresser übernehmen. Eine Bodenbedeckung durch krautige Pflanzen und Gräser, Blühstreifen und Hecken verhindern die Erosion fruchtbaren Bodens. Insgesamt wirkt die biologische Vielfalt langfristig stabilisierend auf Ökosysteme, ihre Funktionen und Leistungen. Je weniger unterschiedliche Arten dagegen in einer Agrarlandschaft vorhanden sind, desto anfälliger ist das dortige Ökosystem gegenüber schwankenden Umweltbedingungen oder dem Klimawandel.
Die biologische Vielfalt birgt für viele Menschen aber auch kulturelle Werte jenseits von Nutzenerwägungen, sie ist auch um ihrer selbst willen erhaltenswert.
Zuletzt ist gut die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt. Will man die für Agrarlandschaften typischen Arten erhalten und fördern, führt kein Weg daran vorbei, hier aktiv zu werden.
Mehr als die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt: Derzeit 51 %. Davon wird auf 72 % (d. h. 36,8 % der Landesfläche) Ackerbau betrieben und 28 % (d. h. 14,3 % der Landesfläche) sind Dauergrünland (Wiesen und Weiden).
©: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2019 © Karte: GeoBasis-DE / BKG 2019 (Gebietsstand 31.12.2017, Daten verändert)
Landwirtschaft findet in Deutschland in einem komplexen Umfeld von Rahmenbedingungen statt. Dazu gehören zum Beispiel die Eigenschaften unterschiedlicher Standorte, international vernetzte Agrarmärkte, öffentliche Transferzahlungen, die Agrarpolitik, das Agrar- und Umweltrecht und der Einfluss des Verhaltens von Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Möchten wir die Artenvielfalt fördern, sind vielfältige, parallele Lösungsansätze notwendig, die diesen Kontext berücksichtigen. Es genügt nicht, nur einzelne Teile dieses Systems zu verändern, sondern wir müssen in allen Bereichen gleichzeitig aktiv handeln. In den folgenden Kästen wird beschrieben, wie in unterschiedlichen Bereichen Entscheidungen getroffen wurden oder werden, die starken Einfluss auf die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft haben:
Die landwirtschaftlichen Betriebe haben eine besonders enge Beziehung zur biologischen Vielfalt in den Agrarlandschaften, denn die biologische Vielfalt sichert ihre Existenz. Landwirtschaft kann eine nachhaltig genutzte und diverse Agrarlandschaft schaffen, aber auch eine großflächige und monotone Landschaft mit wenigen Tier- und Pflanzenarten zur Folge haben.
Im Ackerbau haben sowohl langfristige Entscheidungen für den Anbau bestimmter Feldfrüchte als auch kurzfristige Entscheidungen zu Bodenbearbeitung, Beregnung, Düngung und Pflanzenschutz Einfluss auf die biologische Vielfalt. Besonders deutlich wird dies beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die Schadarten töten sollen, aber auch viele indifferente und nützliche Arten beeinflussen. Anbausysteme, in denen wenig Pflanzenschutzmittel und mineralischer Dünger eingesetzt werden, wie z.B. der ökologische Landbau, extensive Nutzungssysteme oder Flächen, die im Rahmen von Agrarumweltmaßnahmen bewirtschaftet werden, weisen in der Regel höhere biologische Vielfalt auf. Durch die Kombination von Feldfrüchten in Raum und Zeit können zahlreiche Optionen entstehen, die zu Erhalt und Förderung der Vielfalt von Pflanzen, Mikroorganismen und Tieren beitragen.
Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang von Artenvielfalt und Landwirtschaft ist in der Nutzung von Grünland, welche eng mit der Haltung von Nutztieren verbunden ist. Zwar sind nicht alle Formen der Wiesen- und Weidenutzung durch Vieh förderlich für die biologische Vielfalt, ganz ohne Nutztiere ließe sich artenreiches Grünland allerdings überhaupt nicht erhalten. Im Jahr 2010 wurden auf 55 % der deutschen Betriebe Rinder auf Weiden gehalten. Extensive Wiesen- und Weidenutzung bringt eine ganz eigene biologische Vielfalt hervor. Bei der Mahd mit Nutzung des Mähgutes wird z. B. Biomasse gleichmäßig entfernt und die Flächennutzung ist einheitlicher, während Beweidung durch selektives Grasen räumliche Diversität fördert.
Der Wert der Agrarlandschaft für die biologische Vielfalt wird stark durch Strukturelemente wie Hecken, Einzelbäume oder Randstrukturen gefördert. Eine diverse Landschaftsstruktur kann je nach Anbausystem sogar eine intensive Landnutzung auf den Produktionsflächen ausgleichen. Viele Entscheidungen zur Gestaltung der gesamten Agrarlandschaft werden allerdings nicht von den Betrieben allein, sondern gemeinsam mit kommunalen oder Nutzerverbänden (Wasserverbände, Jagdverbände, Flurinteressenschaften, Realgemeinden) getroffen.
Betriebe, die nach den Regeln der ökologischen Landwirtschaft arbeiten, erzielen im Durchschnitt eine um 30% höhere Artenvielfalt. Allerdings variieren die Umwelteffekte des Ökolandbaus je nach Betrieb und Standort. So wird die Wirkung des Anbausystems auf die biologische Vielfalt teilweise von strukturellen Gegebenheiten wie Feldgröße und umgebender Landschaft überlagert. Vor allem bei Pflanzen im Ackerbau und in eher monotonen und intensiv genutzten Landschaften fällt der Unterschied von ökologischen zu konventionellen Anbausystemen deutlich positiv aus, während im Grünland eher geringe Unterschiede feststellbar sind.
Andererseits erzielt der Ökolandbau je nach Kultur geringere Erträge. In verschiedenen Überblicksstudien wird der Unterschied im Ertrag zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft auf ca. 20-25% geschätzt. Bezieht man die Umweltbilanz des Ökolandbaus auf den geringeren Ertrag, fallen die Vorteile geringer bis neutral aus. Generell sind manche Kulturen, Böden und Standorte besser für den Ökolandbau geeignet als andere.
Die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland wird entscheidend durch marktwirtschaftliche Prozesse beeinflusst. Produktionsentscheidungen orientieren sich auf vielen Teilmärkten weitgehend an internationalen Preisen für produzierte Güter und für die zur Produktion benötigten Ressourcen. Unter diesen Gegebenheiten ist die biologische Vielfalt ein öffentliches Gut, dem kein Marktwert zugemessen wird. Entsprechend spielt der Schutz der biologischen Vielfalt in einem auf Angebot und Nachfrage konzentrierten Markt keine Rolle.
Ein Ansatzpunkt für einen verbesserten Schutz der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft ist eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung landwirtschaftlicher Produkte, die mit biodiversitätsfreundlichen Verfahren angebaut wurden. Laut Umweltbewusstseinsstudie 2018 äußern 68 % der Befragten, dass Umweltschutz im Bereich Landwirtschaft eine übergeordnete Bedeutung haben sollte. Mit 65 % sehen die meisten Befragten den Rückgang von Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren als ein großes Problem der heimischen Landwirtschaft. Beide Zahlen deuten darauf hin, dass Bürgerinnen und Bürger ein Interesse an einer biodiversitätsfreundlichen Landwirtschaft haben.
Ein höherer Preis ermöglicht landwirtschaftlichen Betrieben biodiversitätsfreundlichere Bewirtschaftungsmethoden. Eine Studie für Deutschland und Kanada schätzt das Potenzial für einen derartigen nachhaltigen Konsum auf 20 % ein; dieser Anteil könnte durch gezieltes Marketing und Wissensvermittlung zum nachhaltigen Konsum um weitere 10-20 % gesteigert werden. Da biologische Vielfalt ein öffentliches Gut darstellt, ist die Möglichkeit, ihren Schutz über Änderungen im Konsumverhalten zu erreichen, allerdings begrenzt – es besteht ein Anreiz für Konsumenten zum Trittbrettfahren.
Die Landwirtschaft in Deutschland erhält über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) seit Ende der 1960er Jahre Transferzahlungen. Diese machen inzwischen gut ein Drittel des Einkommens der landwirtschaftlichen Betriebe aus.
Der größte Teil dieser Zahlungen, bekannt als “1. Säule der GAP”, ist an die von einem Betrieb bewirtschaftete Fläche gebunden. Dabei hängt die Höhe der Zahlung nicht davon ab, welche Kulturen angebaut oder wie viele Tiere gehalten werden. Die Zahlungen sind mit der Auflage verbunden, bestimmte umwelt-, tierschutz- und verbraucherschutzrechtliche Anforderungen der EU zu erfüllen und die landwirtschaftlichen Flächen in einem „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“ zu erhalten. Zudem bestehen Anforderungen z. B. an die Anbaudiversität, den Erhalt von Dauergrünlandflächen und die Bereitstellung ökologischer Vorrangflächen (z. B. Brachen oder Bienenweiden). Diese Umweltauflagen zeigen allerdings trotz Einsatzes beträchtlicher Haushaltsmittel nur eine geringe Wirkung.
Darüber hinaus fördert die EU zum Schutz der Umwelt und der biologischen Vielfalt Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (2. Säule der GAP), die über die Umweltanforderungen der ersten Säule hinausgehen und von den Mitgliedstaaten programmiert und mitfinanziert werden. Hier bestehen für die Betriebe allerdings über die Erstattung von Kosten hinaus keine ökonomischen oder anderweitig sinnvolle Anreize, die biologische Vielfalt zu schützen oder zu fördern. Zudem ist der administrative Aufwand hoch und der rechtliche Rahmen komplex.
In den Jahren 2010-2016 erzielten landwirtschaftliche Betriebe im Durchschnitt 30,8 % ihres Einkommens durch die Direktzahlungen der 1. Säule. Die ausschließlich auf Umweltziele hin ausgerichteten Fördermittel der 2. Säule spielen in der Regel eine untergeordnete Rolle: Hiermit erzielten die Betriebe Einnahmen von im Durchschnitt 3,9 % ihres Einkommens.
Insgesamt ist die ökologische Wirkung der naturschutzbezogenen Maßnahmen der GAP in der Praxis eindeutig unzureichend.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt wird durch vielfältige Regelwerke auf internationaler Ebene, auf Ebene der Europäischen Union und auf nationaler Ebene geschützt. Diese Regelwerke betreffen auch landwirtschaftliche Betriebe, die die biologische Vielfalt zum einen auf den bewirtschafteten Flächen, zum anderen in der umliegenden Landschaft beeinflussen.
Die Vorschriften, die im Umgang mit biologischer Vielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen gelten, hängen davon ab, ob die Fläche oder Arten auf der Fläche einem besonderen Schutz unterliegen. Falls kein besonderer Schutzstatus besteht, gelten die Regeln zur „guten fachlichen Praxis“.
Im Dünge- und Pflanzenschutzrecht sind die Anforderungen an die gute fachliche Praxis verbindlich und z. T. durchaus konkret, weil hier EU-Recht umgesetzt wurde. Im Boden- und Naturschutzrecht sind die Anforderungen hingegen unbestimmter und dienen lediglich als zu beachtende Handlungsdirektiven für die Landwirtschaft.
Obwohl die rechtliche Ausgestaltung der guten fachlichen Praxis im Dünge- und Pflanzenschutzrecht konkreter ist, existieren in diesem Bereich behördliche Vollzugsdefizite, was zum einen auf den Umfang der landwirtschaftlichen Betriebe und Flächen, zum anderen auf fehlende behördliche Kapazitäten und die Übertragung von Kontrollaufgaben auf Landwirtschaftskammern zurückzuführen ist.
Teilweise berücksichtigen die Regelungen für die Landbewirtschaftung auch den Schutz der umliegenden Landschaft. So müssen Dünge- und Pflanzenschutzmaßnahmen nach der Düngeverordnung und dem Pflanzenschutzgesetz bestimmte Abstände zu Gewässern, Pflanzenschutzmaßnahmen zudem zu weiteren Nutzsystemen, Biotopen und Schutzgebieten einhalten. Allerdings sind nicht sämtliche Gewässer (z.B. kleine Gewässer) in das Pflanzenschutzgesetz und die Düngeverordnung einbezogen.
Es gibt außerdem beträchtliche räumliche Überlappungen zwischen landwirtschaftlichen Nutzflächen und Schutzgebieten. Liegen die Flächen eines Agrarbetriebs in einem Schutzgebiet, gelten besondere Vorgaben gemäß dem Naturschutz- und Wasserrecht sowie konkrete Schutzgebietsvorschriften. Viele Schutzgebietsvorschriften gestatten jedoch, dass die ausgeübte Landwirtschaft mit Düngung und Pflanzenschutzmitteln weitgehend ohne Einschränkungen auch innerhalb der Schutzgebiete fortgeführt werden darf.
Der Schutz der biologischen Vielfalt wird seit Jahrzehnten wissenschaftlich intensiv erforscht und politisch diskutiert. Bei zumeist ehrenamtlich im Natur- und Artenschutz engagierten Bürgerinnen und Bürgern ist der Artenrückgang ebenfalls seit langem ein zentrales Thema.
Gesamtgesellschaftlich und medial hat das Problem des anhaltenden Verlustes der biologischen Vielfalt erst seit Ende 2017 eine größere Aufmerksamkeit erlangt. Das Problembewusstsein, dass Insekten in Deutschland in vielen Regionen selbst in Schutzgebieten zurückgehen und dass dies Folgen hat, ist seither sichtbar gestiegen. Das bayerische Volksbegehren „Rettet die Bienen“ mit ca. 1,8 Millionen Unterzeichnenden dokumentiert beispielhaft die gewachsene Aufmerksamkeit der Bürgerinnen und Bürger.
Gleichzeitig steigt die Nachfrage an Bioprodukten. Auch Lebensmitteldiscounter reagieren auf die Nachfrage und kooperieren zunehmend mit Betrieben ökologischer Landwirtschaft. Der steigende Erwerb von regionalen Produkten aus der ökologischen Landwirtschaft kann somit als Beitrag der Gesellschaft gegen das Artensterben gesehen werden, auch wenn die Motive von Bio-Konsumentinnen und -konsumenten heterogen sind.
Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Bedeutung der biologischen Vielfalt ist in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen sehr unterschiedlich. So ist das Bewusstsein wesentlich höher bei Personengruppen mit hohen Bildungsabschlüssen und mit einem Haushaltsnettoeinkommen ab 3.500 EUR.
Seit Jahrzehnten verweisen wissenschaftliche Studien auf die Probleme, die durch landwirtschaftliche Nutzung für die biologische Vielfalt entstanden sind, sowie auf die Notwendigkeit, Maßnahmen zu entwickeln, um die Situation der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft zu verbessern.
Langfristige Bestandversänderungen von Arten in der Agrarlandschaft sind ebenso dokumentiert wie Effekte einzelner Faktoren auf einzelne Arten oder Artengruppen. Schließlich gibt es einzelne inter- und transdisziplinäre Projekte, in denen verschiedene Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt entwickelt, implementiert, begleitet und in ihrem Erfolg bewertet wurden. Es gibt somit gesichertes, fundiertes Wissen.
Dennoch sind die Auswirkungen dieser Studien auf die Wahrnehmung der Problematik durch die Gesellschaft, die Reaktion der Politik und die landwirtschaftliche Praxis weiterhin zu gering. Eine wichtige Frage ist, wie die Relevanz dieser wissenschaftlichen Arbeiten eine stärkere Wirkung in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Ausgestaltung von Politik entfalten können.
Es bestehen jedoch auch nach wie vor Wissenslücken, z. B. über lokale Trends der Artenvielfalt, die Folgen und konkreten Ursachen der Verluste der biologischen Vielfalt, insbesondere über die vielschichtigen Wechselwirkungen z.B. zwischen angebauten Kulturen, Pflanzenschutzmitteln, Düngung und Strukturvielfalt der Agrarlandschaft. Weiter besteht hoher Bedarf an verstärkter inter- und transdisziplinärer Forschung, in der Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt entwickelt, umgesetzt, begleitet und bewertet werden.
Außerdem fehlt die „Übersetzung“ der wissenschaftlichen Erkenntnisse einschließlich darauf aufbauender möglicher Zukunftsszenarien in die Praxis (das betrifft sowohl den Naturschutz als auch die Landwirtschaft). Zukunftsszenarien könnten Handlungsoptionen eröffnen, die in der Zivilgesellschaft verhandelt und über welche die demokratisch legitimierten Institutionen Entscheidungen fällen können.
Die Praxis-Defizite haben zum einen wissenschaftsexterne strukturelle Gründe, die eine Umsetzung verhindern, doch zum anderen sind auch Wissenschaftsstrukturen selbst mitverantwortlich: Als Folge der zunehmenden Spezialisierung in der akademischen Forschung verschiebt sich das Fächerspektrum an den Universitäten; es gehen z.B. Lehrstühle für Systematik und Taxonomie oder Agrar- und Forstökologie verloren. Zusätzlich werden Landesforschungseinrichtungen geschlossen. Es fehlt in Folge oft an systemischen Forschungsansätzen sowie an fachlich fundierter, anwendungsorientierter Forschung innerhalb und außerhalb der Hochschulen. Beispielsweise finden sich ausgesprochen wenige Studien, die biologische Vielfalt und landwirtschaftliche Produktivität am gleichen Standort in einem konsistenten Experiment untersuchen.
Was zudem fehlt, ist eine umfassende, interdisziplinär und auch partizipativ angelegte landwirtschaftliche Praxisforschung in Richtung nachhaltiger Anbaumethoden auch, aber nicht nur, im Ökolandbau. In den USA und nun auch in Frankreich findet schon seit vielen Jahren agrarökologische Forschung statt, die zum Ziel hat, agrarökologisches Wissen aus der Wissenschaft in die Anwendung zu bringen, um nachhaltigere „konventionelle“ Agrarsysteme zu etablieren. Insbesondere besteht ein Bedarf an transdisziplinärer Forschung, die Akteursgruppen und Entscheidungsträgerinnen und -träger der landwirtschaftlichen Betriebe, der Lokalpolitik und der Zivilgesellschaft einbindet.
Es reicht nicht und wäre auch nicht gerecht, wenn nur von den landwirtschaftlichen Betrieben eine Änderung ihres Handelns eingefordert würde.
Es gibt viele Möglichkeiten und Ansätze, die die Artenvielfalt in der deutschen Agrarlandschaft schützen und stärken können. Hier stellen wir dar, was einzelne Akteurinnen und Akteure jeweils beitragen können. Die einzelnen Bereiche sind über die farbig unterlegten Schlagwörter an- und abwählbar.
Eine biodiversitätsfreundliche Bewirtschaftung kann und muss auch wirtschaftlich attraktiv werden. Es bedarf dazu dringend einer grundlegenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP), um wirksame Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt umfassend zu finanzieren. Die 2020 anstehende Reform der GAP für den Zeitraum von 2021-2027 bietet hierfür eine Chance.
Eine ökologisch ausgerichtete GAP sollte stärker als bisher auf Instrumente setzen, welche die Bemühungen der landwirtschaftlichen Betriebe für den Erhalt biologischer Vielfalt durch adäquate Zahlungen honorieren. Hierfür bedarf es klarer quantitativer Kriterien, die die Verbesserung der Artenvielfalt messen, und ein regelmäßiges Monitoring der Artenvielfalt.
Die Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der GAP und auf nationaler Ebene bieten den wirksamsten Hebel, um die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft zu fördern. Sowohl in Bezug auf die Flächenausdehnung als auch in Bezug auf die Größe der Effekte.
Im Rahmen der vorgeschlagenen GAP-Reform 2020 sollten Direktzahlungen in der ersten Säule unmittelbar an positive Auswirkungen der Landnutzung auf Umwelt und biologische Vielfalt gekoppelt werden.
Eine gestaffelte, an der Gemeinwohlleistung der Betriebe ausgerichtete Grundförderung ist in diesem Zusammenhang besonders gut geeignet, da sie Anreize für einen effizienteren Schutz der biologischen Vielfalt und eine vielfältige Landschaftsstruktur schaffen kann.
Es gibt verschiedene Umweltziele, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erheblichen Finanzbedarf in der landwirtschaftlichen Förderung begründen können. Hierzu gehört insbesondere das Ziel, die biologische Vielfalt zu fördern. Die derzeitigen Direktzahlungen ohne diese Koppelung sind wissenschaftlich und ordnungspolitisch nicht begründbar. Sie erfüllen darüber hinaus nur teilweise ihren Zweck, da sie nur Landeigentum, nicht aber Landbewirtschaftung fördern, und haben unerwünschte Nebeneffekte z.B. auf Landmärkte.
Um die entsprechenden Programme für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu finanzieren, ist ein stufenweiser Ausstieg aus den Direktzahlungen notwendig. Hierbei ist es wichtig, dass die Politik zeitnah einen gesellschaftlichen Dialog über die Ziele der Agrarpolitik einleitet und landwirtschaftlichen Betrieben einen sicheren Planungshorizont beim Auslaufen der Direktzahlungen aufzeigt.
Auch im Bereich der Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (zweite Säule der GAP) bestehen vielfältige Ansatzpunkte für einen effektiveren Schutz der biologischen Vielfalt.
Agrarumweltprogramme sollten nicht wie bisher weitgehend beliebig, sondern als regionale und erfolgversprechende Portfolios angeboten werden, die aus regionalen Leitbildern und Zielen für Lebensräume und (Leit-)arten der Agrarlandschaft abgeleitet werden. Bei der Erarbeitung und Umsetzung spielen regionale Vereinigungen eine zentrale Rolle.
Unter den Agrarumweltmaßnahmen nimmt die Förderung des Ökolandbaus als gesamtbetriebliche Maßnahme eine besondere Stellung ein. Darüber hinaus gibt es auch in Ökobetrieben zusätzliches Potenzial zur verstärkten Förderung der Artenvielfalt. So bedarf es einer Unterstützung besonders biodiversitätsfördernder landwirtschaftlicher Betriebe.
Des Weiteren ist der Markt für ökologisch erzeugte Produkte, auf dem die Betriebe einen Mehrpreis für die erbrachten Umweltleistungen erzielen können, besser zu entwickeln. Die Stärkung der ökologischen Landwirtschaft braucht deshalb flankierende Maßnahmen im Lebensmittelhandwerk und im Absatz von Ökoprodukten, u.a. in der Gemeinschaftsverpflegung. Das bayerische Programm BioRegio 2020 mit seinen Ökomodellregionen ist hierfür Vorreiter.
Der Schutz der biologischen Vielfalt und der Umwelt im weiteren Sinne ist eine Querschnittsaufgabe, die sowohl die Agrar- als auch die Umweltpolitik betrifft. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Kooperation zwischen Landwirtschafts- und Umweltseite sowohl auf Ebene der Ministerien als auch in der Verwaltung defizitär ist und Fortschritte im Erhalt der biologischen Vielfalt verhindert. Daher ist in Zukunft eine engere Kooperation oder eine vollständige Integration von Agrar- und Umweltpolitik geboten, um die Förderung der biologischen Vielfalt voranzutreiben.
Die Inhalte dieser Website bauen auf der Stellungnahme "Förderung der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft" von Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften auf. Die Stellungnahme — inklusive einer vollständigen Liste der Empfehlungen der Arbeitsgruppe — können Sie hier als PDF herunterladen: