1982 wurde in Erlangen zum ersten Mal in Deutschland ein Mensch nach In-vitro-Fertilisation geboren. Das Medienecho war riesig, und eine intensive gesellschaftliche Debatte begann.
Nach einer langen und kontroversen Diskussion einigte man sich 1990 auf einen
Kompromiss: das Embryonenschutzgesetz. Es ist ein reines Strafgesetz – das
heißt, es arbeitet ausschließlich mit Verboten – und gilt bis heute nahezu
unverändert.
Seither ist allerdings viel passiert – in der Gesellschaft wie auch in der
Fortpflanzungsmedizin. Die medizinischen Techniken haben sich
weiterentwickelt, und auch die Auffassungen von Familie und Partnerschaft
haben sich in der Gesellschaft sehr verändert.
Auch dadurch nimmt die Zahl der IVF-Behandlungen zu: Heute werden
3% der Kinder in Deutschland mithilfe von IVF-Behandlungen geboren.
Das sind mehr als 20.000 Kinder pro Jahr.
Bei der In-vitro-Fertilisation werden die Eizellen der Frau und der Samen des Mannes im Labor zusammengebracht. Die so entstandenen Embryonen werden einige Tage beobachtet, ob sie sich gut entwickeln. Dann wird einer oder mehrere der Embryonen in die Gebärmutter der Frau übertragen. Nisten sich die Embryonen in der Gebärmutterschleimhaut ein, kommt es zu einer Schwangerschaft.
Eine Vielzahl von Entwicklungen führt dazu, dass die Menschen in Deutschland heute deutlich später Kinder bekommen. In Deutschland liegt das Erstgebärenden-Alter inzwischen bei durchschnittlich 29,8 Jahren (2017).
Zu den Gründen hierfür gehören mehr Bildungs- und Arbeitschancen für Frauen und die zum Teil immer noch schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zum anderen haben die Verfügbarkeit von wirksamen Verhütungsmitteln und ein kultureller Wandel dazu beigetragen, dass Frauen und Männer tendenziell später Kinder bekommen. Ein zunehmender Anteil von Frauen versucht erst ab einem Alter von 35 Jahren schwanger zu werden, in dem die Fruchtbarkeit bereits etwas nachlässt.
Konstellationen, in denen die sexuelle Orientierung oder Lebensweise der Person es nicht ermöglicht, mit einem Partner oder einer Partnerin ein Kind zu zeugen (wie bei homosexuellen Paaren) sind heute gesellschaftlich akzeptiert. Solche Personen wünschen sich aber auch oft, Kinder zu bekommen, und benötigen die Hilfe der Fortpflanzungsmedizin.
Ein Paar, bei dem der Mann in Folge einer Krebsbehandlung unfruchtbar ist, kann sich seinen Kinderwunsch durch eine Samenspende erfüllen. Eine Eizellspende könnte einer Frau in einer ähnlichen Situation helfen. Die Eizellspende ist jedoch in Deutschland verboten.
Erlaubt in: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern. Verboten in: Deutschland, Litauen, Luxemburg, Schweiz.
In Deutschland war die Eizellspende 1990 verboten worden, weil man befürchtete, dass eine gespaltene Mutterschaft für die so entstandenen Kinder große Identitätsprobleme mit sich bringen würde. Allerdings weiß man heute aus Studien aus dem Ausland, dass diese Befürchtung unzutreffend ist. Ein weiterer Grund war, dass die Verfahren für die Gewinnung von Eizellen damals eine große Belastung für die spendende Frau darstellten. Heute sind diese Verfahren jedoch deutlich schonender.
Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann und die Familientherapeutin Petra Thorn begründen, warum es an der Zeit ist, die Eizellspende in Deutschland zu legalisieren.
21% aller Schwangerschaften nach IVF in Deutschland sind Mehrlingsschwangerschaften. Bei natürlichen Schwangerschaften sind es nur 1%. Mehrlingsschwangerschaften bringen gesundheitliche Risiken für Frau und Kind mit sich, insbesondere durch das erhöhte Risiko einer Frühgeburt.
Um den Anteil der Mehrlingsschwangerschaften zu reduzieren, wird in vielen Ländern der sogenannte elective Single Embryo Transfer (eSET) durchgeführt. Schweden zum Beispiel hat nur 4% Mehrlingsschwangerschaften – und das bei nahezu gleicher Geburtenrate.
Beim eSET wird im Labor bewusst eine größere Anzahl von Eizellen befruchtet. Die so erzeugten Embryonen werden über einige Tage beobachtet. Dann wird nur derjenige ausgewählt, der die besten Entwicklungschancen aufweist und der Frau übertragen.
In Deutschland ist der eSET in dieser Form aufgrund der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes nicht möglich. Es verbietet, bewusst mehr Embryonen zu erzeugen, als der Frau in einem Zyklus übertragen werden sollen.
Der Jurist Jochen Taupitz zur Frage, warum der eSET in Deutschland erlaubt werden sollte.
In Deutschland fehlen auch Regelungen zum Umgang mit überzähligen Embryonen, die bei fortpflanzungsmedizinischen Behandlungen entstehen können. Zwar ist eine Embryospende bzw. –adoption im Prinzip nicht verboten, wie diese in der Praxis ausgestaltet werden soll, ist aber völlig unklar. So ist zum Beispiel überhaupt nicht geregelt, nach welchen Kriterien Wunscheltern eine Embryospende erhalten dürfen.
Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann zur Frage, wie mit sogenannten überzähligen Embryonen umgegangen werden sollte.
Embryonen können für eine Spende in Betracht kommen, wenn sie für die fortpflanzungsmedizinische Behandlung des Paares, für das sie erzeugt wurden, endgültig nicht mehr verwendet werden. Man spricht insoweit von sogenannten überzähligen Embryonen. Sie können z. B. entstehen, wenn die Familienplanung abgeschlossen ist oder der Kinderwunsch aus anderen
Gründen nicht mehr fortbesteht.
Anstatt solche Embryonen zu verwerfen, also absterben zu lassen, könnten sie von den Paaren einem anderen Kinderwunschpaar für den Transfer überlassen (gespendet) werden. Zulässig ist die Embryospende / Embryoadoption nur, wenn ein bereits erzeugter Embryo, der andernfalls absterben würde, übertragen wird. Nach der aktuellen Gesetzeslage ist allerdings das Recht so entstandener Kinder auf Kenntnis ihrer genetischen Abstammung nicht gesichert. Auch die Abgabe und Übernahme der Elternrechte und -pflichten sind nicht hinreichend geregelt.
Der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin ist finanziell schlecht gestellten Menschen versperrt, da viele Kosten nicht von den Gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen werden.
Die Kosten pro Behandlung liegen oft im vierstelligen Bereich. In der Regel wird aber von den Krankenkassen nur die Hälfte der Kosten übernommen. Die Teilfinanzierung erstreckt sich auch nur auf drei Behandlungszyklen unabhängig von der individuellen medizinischen Situation und den Erfolgsaussichten. Sie ist außerdem an starre Altersgrenzen gebunden. Zudem erhalten nur verheiratete Paare diese finanzielle Unterstützung. Viele Menschen leben heute allerdings in einer festen Partnerschaft, ohne verheiratet zu sein. Durch diese Regelung werden insbesondere Menschen in den neuen Bundesländern benachteiligt, da dort 58% aller Kinder in nichtehelichen Partnerschaften geboren werden.
Auch wegen der Finanzierungsmodalitäten werden in Deutschland häufig mehrere Embryonen pro Behandlungszyklus übertragen, um eine höhere Chance auf eine Geburt zu haben. Durch diese Entscheidung erhöht sich allerdings die Wahrscheinlichkeit für eine risikobehaftete Mehrlingsschwangerschaft.
Die genannten Beispiele sind nur einige der drängendsten Probleme, die einer Neuregelung durch den Gesetzgeber bedürfen.
Eine gute psychosoziale Beratung sollte für Paare mit Kinderwunsch niedrigschwellig verfügbar sein. Die Familientherapeutin Petra Thorn erklärt, warum diese so wichtig ist.
In einer freiheitlichen, pluralen Gesellschaft muss der Gesetzgeber nicht begründen, was er erlauben kann, sondern gut begründen, wenn und warum er etwas verbietet. Daher brauchen wir eine gesellschaftliche und politische Debatte, wie wir mit den Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin umgehen wollen. Dabei müssen wir die Rechte und Interessen aller Betroffenen wahren und im Konfliktfall gegeneinander abwägen.
Woran sollte sich eine Neuregelung der Fortpflanzungsmedizin orientieren? Gibt es eigentlich ein Recht auf ein Kind? Der Jurist Jochen Taupitz und die Medizinethikerin Claudia Wiesemann geben Antworten.
Um sich ein umfassendes Bild der Thematik zu machen, laden Sie sich die Stellungnahme der Leopoldina und der Akademienunion herunter.
Komplette Stellungnahme